Achtsamkeit von Kindern lernen

Die meisten Eltern kennen die Situation: Du bist mit deinen Kindern auf dem Spielplatz. Die Taschen sind ordentlich gepackt, ihr habt alles dabei. Perfekt! Die Kinder spielen und endlich hast du Zeit für dich. Zeit, die du bewusst nutzen möchtest. Das Dankbarkeitstagebuch oder die Mindfullness-Lektüre sind kaum aufgeschlagen, da passiert es – ein unheilverheißendes Krachen aus Richtung Spielturm gefolgt von einem wütenden Aufschrei.

Kurz hoffst du noch, es könnte ein fremdes Kind betreffen, tatsächlich ist dir längst klar, dass es deine Bande ist, die hier die Meuterei ausruft. Dein Zirkus, deine Affen. Das Ende der Auszeit.

Wie soll ein erwachsener Mensch unter diesen Bedingungen zu einer entspannten und bewussten Lebenshaltung finden? Es mag dir in diesem Kontext seltsam erscheinen, aber das Leben mit Kindern bietet die idealen Voraussetzungen für das alltägliche Praktizieren von Achtsamkeit.

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Achtsamkeit im Alltagskontext

Achtsamkeit, das ist frei nach Jon Kabat-Zinn eine Haltung, die uns den aktuellen Moment mit allen Sinnen erfahren lässt. Eindrücke und Gedanken werden urteilsfrei wahrgenommen. Ein aufmerksamer Moment, der dem Praktizierenden ermöglicht, das Leben als eine Folge von Augenblicken wahrzunehmen, jetzt zu sein, nicht gestern oder morgen. Die Dinge zu akzeptieren, anzunehmen und in ihrer Tiefe schätzen zu lernen.

Achtsam zu handeln bedeutet ganz bei der Sache zu sein, alle Aspekte einer Situation wahrzunehmen. Keine Tagträume, keine Grübeleien, keine Selbstvorwürfe und damit genau die Haltung, die du benötigst, um die vorwurfsvollen Blicke der anderen Eltern einzuordnen und dich auf den Auslöser der aktuellen Spielplatzmeuterei einzulassen.

Was bringt Achtsamkeit

Denn genau hier liegt eines der Ziele der Achtsamkeitspraxis: Eine zugewandte und offene Haltung, ermöglicht es dir, deine Mitmenschen und ihre Bedürfnisse, genau wie deine eigenen zu erkennen und darauf zu reagieren. Dies bedeutet auch, nicht alle Vorhaben zur gleichen Zeit umzusetzen.

Bist du selten mit den Kindern auf dem Spielplatz, werden sie zumindest während der ersten halben Stunde deine volle Aufmerksamkeit einfordern. Das ist naheliegend. Sie wissen deine Anwesenheit zu schätzen und du kannst dieses Geschenk annehmen, in dem du dieser Situation bewusst begegnest.

Statt der Pflichtübung, ein Dankbarkeitstagebuch auszufüllen, praktizierst du eine lebensnahe Achtsamkeitsübung. Du versuchst nicht einen Plan gegen alle Widerstände durchzusetzen, sondern erreichst dein Ziel, in dem du den aktuellen Moment vollständig wahrnimmst.

Auf dem Spielplatz kann das heißen im Spielhaus zu sitzen und dich daran zu erfreuen, welches Staunen die Bewegung des kleinen Mühlrades auf dem Gesicht des Zweijährigen hervorruft, wenn er es bewerkstelligt, den Sand gezielt hineinrieseln zulassen.

Zugleich spürst du die Sonne auf der Haut die nach dem Regen, dessen Geruch noch in der Luft liegt, das feuchte Gras neben dem Sandkasten zum Dampfen bringt. Du kannst dich dankbar an dem Lächeln deines Sohnes erfreuen, ohne es zu dokumentieren oder zu teilen. Desto mehr Einzelheiten du in einem Moment aufnimmst, umso deutlicher wird sich die Erinnerung daran einprägen. Ganz ohne Foto.

Übe dich in der Beobachtung. Es ist super, wenn der Kleine den Sand schon zwischen den Fingerspitzen fassen kann. Er muss dies aber nicht tun. Es ist ok, wenn er plötzlich unzufrieden wird, weil der Hausensaum nass und kalt wird. Du bist in der Lage das Problem zu beobachten und zu erkennen. Jetzt. Du musst es nicht zwingend voraussehen.

Akzeptiere die eintretenden Entwicklungen und versuche, sie als gegeben hinzunehmen. Wenn du weniger überlegst, wie die Situation sein sollte und dich mehr darauf einlässt, wie sie individuell für euch ist, bist du dem Konzept der Achtsamkeit schon sehr nahe.

Du praktizierst Akzeptanz und Wertschätzung. Dein Stresslevel und deine Anspannung reduzieren sich und du kannst effektiver auf schwierige Situationen reagieren.

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Kinder leben Achtsamkeit

Kleine Kinder praktizieren diese Einstellung konsequent. Sie staunen über spontane Entdeckungen wie kleine Käfer auf ihren Schuhen und freuen sich über die Zuwendung anderer Menschen. Sie beobachten die Welt in allen Details.

Sicher, wenn alles neu ist, erscheint diese Form des permanenten Staunens einfacher. Erwachsene sind nicht so leicht zu beeindrucken und verlieren dadurch schnell das Interesse an den kleinen Wundern des Alltags. Das Zusammensein mit Kindern kann uns Großen in diesem Zusammenhang eine Brücke sein. Wir staunen mit Ihnen und werden der Dinge durch ihre Augen wieder gewahr.

Es ist aber nicht nur diese Begeisterung, die wir uns von unserem Nachwuchs abschauen können, um unser Leben ein wenig achtsamer zu gestalten. Es ist auch ihr Erleben von Emotionen.

Die kindliche Freude ist genauso rein und direkt wie ihr Ärger oder ihre Angst. Diese Gefühle werden zugelassen und deutlich erlebt.

Dem Erwachsenen ist ein derartiges Erleben oft unangenehm. Offen ausagierte negative Emotionen sind gesellschaftlich unerwünscht und mit Scham belegt. Wir haben gelernt, unsere Gefühlsregungen bis zur Unkenntlichkeit zu verdrängen, anstatt sie zuzulassen und zu beobachten. Aber nur wenn wir ihrer so selbstverständlich gewahr werden wie unsere Kinder, können wir sinnvoll darauf reagieren.

Achtsamkeit heißt somit auch, Gefühle einzuordnen und eine angemessene Handlungsstrategie zu wählen. Diesen Vorgang des Beobachtens und Abwägens können wir gemeinsam mit unseren Kindern neu lernen auszuloten.

Achtsamkeitsmomente im Alltag mit Kind

Das heißt nicht, dass euer Alltag nicht praktisch organisiert sein soll. Es bedeutet viel mehr, ein Ding nach dem anderen zu tun und anfallende Arbeiten auf eure Weise und in angepasster Form gemeinsam zu erledigen.

Gemeinsam mit einer Vierjährigen wird der Abwasch nicht in 15 Minuten erledigt sein. Allerdings kann er deutlich achtsamer vonstattengehen. Du wirst genauer auf die Wassertemperatur achten – das Kind soll sich ja nicht verbrennen. Die Kleine freut sich mit dir über jede Spülmittelseifenblase und ihr entdeckt gemeinsam das Kribbeln von Schaum auf der Haut. Du wirst abschätzen müssen, ob die gläserne Auflaufform zu schwer für deine kleine Aushilfe ist und bewusst beobachten müssen, nach welchen Geschirrteilen sie greift. Abschleifungen unmöglich – schließlich soll es nicht das Küchenmesser werden.

Ähnlich kannst du mit vielen Situationen vom Kochen bis zur Gartenarbeit vorgehen, wenn du den anerzogenen Perfektionismus ablegst und dich auf eure gemeinsamen Bedingungen einlässt. „Mindful Parenting“ nennt dies der Fachmann.

Der ideale Weg für Eltern zu einer achtsamen Lebensführung, denn das Konzept lässt sich übertragen. Hast du einmal gelernt, den kleinen und großen Katastrophen des Alltags gelassen zu begegnen und sie bewusst vor dem Handeln mit allen Sinnen zu betrachten, kannst du diese Haltung auch in deine Jobroutinen und auf andere Lebensbereiche anwenden. Ohne Zeit für ambitionierte Zusatzübungen finden zu müssen. Ohne einen weiteren To-Do Punkt. Ganz entspannt, im Hier und Jetzt.

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