Kosha Modell zum tieferen Verständnis der Meditation

Yogaphilosophie und das Kosha-Modell: Mit fortschreitender Yogapraxis erkennst Du, dass neben den Asanas, den Körperhaltungen und Deinen Atemübungen (pranayama), die Meditation immer grösseren Stellenwert auf Deinem Yogaweg bekommt.

Anfangs ging es wahrscheinlich in der Meditation mehr darum, Deinen unruhigen und unsteten Geist zu beruhigen. Doch nach und nach erkennst Du, dass da noch mehr ist.

Meditation schenkt Dir Frieden, manchmal tiefe Einsichten und vielleicht auch ein Gefühl der Verbundenheit, des Eins-Seins.

Yogaphiosophie: Yogasutra, Bhagavad Gita, Upanishaden

Yoga Philosophieschriften wie das Yogasutra von Patanjali oder die Bhgavad Gita (welche neben der philosophischen auch eine religöse Dimension besitzt) helfen uns, tiefer zu sehen und unsere Yogapraxis sinnvoller zu gestalten.

Stefan Geisse Yogalehrer Meditationslehrer

Doch kaum einer kennt die Upanischaden, dem jüngsten Teil des Veda. Sie beschäftigen sich mit der Essenz der vier Veden und bilden so die Grundlage des Vedanta.

Die Upanishaden, sicherlich in ihrer Grösse und Weisheit nie ganz zu durchdringen, bieten schöne Bilder und Metaphern, welche ich in meinen Seminaren und Workshops zur Meditation, Yogaphilosophie als auch Achtsamkeit immer wieder gerne zitiere und erwähne.

Dabei ist neben dem Gleichnis des Pferdewagens das Kosha-Modell ein eindrückliches Bild, wie wir unsere Meditationspraxis und unseren Yogaweg vertiefen können. In Anlehnung an Eknath Easwan (von ihm stammt auch die nachfolgende Übersetzung der Originalverse):

Das Kosha-Modell: Kategorisieren und gruppieren um komplexere Zusammenhänge besser zu verstehen

Wie können wir die Vielfalt mit der göttlichen Einzigkeit in Einklang bringen? Wenn wir die Kohärenz der Erscheinungswelt verstehen können, beginnen wir allmählich zu begreifen, wie sie von Einheitlichkeit durchdrungen ist. Dieser Logik entsprechend besteht der erste Schachzug des wissenschaftlichen oder des philosophischen Geistes häufig im Kategorisieren, dem Gruppieren der Phänomene in Reihen, Mengen mit geordneten Relationen untereinander.

Das ist eine gute Methode – sofern wir daran denken, keine dieser Kategorien der aufgeteilten Wirklichkeit als das Ganze zu halten. „Die Dinge als getrennt anzusehen ist der alleinige Grund für das Anderssein“ sagt Shankara, einer der bedeutesten indischen Gelehrten. Wir sollten also immer daran denken, dass das Ziel des Kategorisierens stets die Rückgewinnung des Einsseins ist.

Das Kosha-Modell in der Taittiriya Upanishad

Die Taittiriya Upanishad zeigt eine systematische Theorie vom Selbst auf – mit Bezug auf die Einzelperson. Es benutzt eine Kategorisierung in einem fünffachen Schema, das sich nach innen wendet:

Ein Mensch ist laut dieser Upanishad in fünf Umhüllungen eingeschlossenes Selbst. Die erste, greifbarste ist der materielle Körper (Anna), dessen wir normalerweise gewahr sind. Dem schliessen sich, einwärts gestaffelt, die „Körper“ der Lebenskraft (Prana), des Geistes (Mana), der Intuition (Vijnama) und schliesslich der Freude (Ananda) an. Beim nach innen gerichtetem Ersteigen dieser „Stufen der Bedeutsamkeit“ wächst die Freudenerfahrung und gleichzeitig das Gewahrsam – bis man Freude ist – sie kann niemals vergehen, da sie bereits in uns ist.

Kosha Modell aus der Taittiriya Upanishad. Yoga und Meditation, Yoga Philosophie

Dies hat unter anderem zur Folge, dass beim Sichausweiten der Freude, das eigene vermeintliche Bedürfnis, andere auszubeuten (um etwa mehr aus dem eigenen Leben herauszuholen) schrumpft. Woraus sich ein entsprechender Nutzen für unsere natürliche und soziale Umgebung ergibt: „Behandle Nahrung nie verächtlich, wirf nie Nahrung weg… jedes Geschöpf wird nach seinem Tod Nahrung für andere…“ (Teil III, 8-10)

Originaltext Kosha Modell zum Selbststudium

Die Hüllen (Koshas) werden in der Taittiriya-Upanishad wie folgt beschrieben:

Annamaya Kosha – Die physische Hülle

„Aus Nahrung bestehen alle Körper, die nach ihrem Tode wieder zu Nahrung werden für andere Körper. Die Nahrung ist für den Körper das wichtigste aller Dinge, so ist sie denn auch die beste Medizin für alle Erkrankungen des Körpers. Jene, die die Nahrung als Geschenk es Herrn betrachten, sollen nie die körperlichen Annehmlichkeiten des Lebens entbehren.

Aus Nahrung bestehen alle Körper. Alle Körper ernähren sich von Nahrung, und sie ernährt sich von allen Körpern. Die körperliche Hülle besteht aus Nahrung.

Pranamaya Kosha: Die Vitalhülle

In Ihr ist die vitale Hülle enthalten, mit Prana als Kopf, Vyana[1] als rechtem Arm, Apana als linkem, dem Raum als Herz und der Erde als Fundament.“ (Teil II, 2.1)

„Mann und Frau, Tier und Vogel leben durch den Atem. So nennt man denn auch den Atem das wahre Lebenszeichen. Er ist die Lebenskraft in einem jeden, die bestimmt, wie lange wir leben dürfen. Jene, die den Atem als Geschenk des Herrn betrachten, sollen bis zur Vollendung der vollen Lebensdauer leben.

Manomaya Kosha – Die geistige Hülle

Die vitale Hülle besteht aus lebendigem Atem. In ihr ist die geistige Hülle enthalten, die gleich gestaltet ist, mit dem Yajur-Veda[2] als Kopf, dem Rig-Veda als rechtem Arm, dem Sama-Veda als linken. Die Weisheit der Upanishaden[3] ist das Herz, und er Atharva-Veda[4] ist das Fundament.“ (Teil II, 3.1)

Vijnanamaya Kosha – Hülle der Weisheit

„Das realisierend, vor dem alle Worte kehrtmachen und das Gedanken nie erreichen können, erfährt man die Glückseligkeit von Brahman und ängstigt sich nicht mehr. In der der geistigen, aus Gedankenwellen bestehenden Hülle ist die Hülle der Weisheit enthalten. Sie ist gleich gestaltet, mit dem Glauben als dem Kopf, der Rechtschaffenheit als rechtem Arm und der Wahrheit als linkem. Die Meditationspraxis ist ihr Herz und das Urteilsvermögen[5] ihr Fundament.“ (Teil II, 4.1)

Anandamaya Kosha – Hülle der Glückseligkeit

„Weisheit[6] bedeutet ein Leben uneigennützigen Dienstes. Sogar die Götter erstreben spirituelle Weisheit. Jene, die Weisheit erlangen, werden befreit von Sünde und erleben die Bewilligung all ihrer uneigenützigen Begehren. Sie Weisheitshülle besteht aus Losgelöstsein[7]. In ihr ist die Hülle der Glückseligkeit enthalten, die gleich gestaltet ist, mit der Freude als dem Kopf, der Zufriedenheit als rechtem Arm und dem Entzücken als linkem. Die Glückseligkeit ist das Herz und Brahman[8] das Fundament.“ (Teil II, 5.1)

Überwindung der Kosha Hüllen um Wissen über uns Selbst zu erlangen

Je tiefer wir in unserer Yogapraxis fortschreiten, je tiefer wir die Kosha-Hüllen „durchdringen“, desto eher kommen wir in unserer Essenz an. Wir erkennen unser „wahres“ Selbst. Und somit erkennen wir – zumindest in der nondualistischen Sichtweise[9] der Upanischaden, dass wir ein Teil des „grossen“, des unbeschreiblichen sind: „Jene, die den Herrn negieren, negieren sich selbst; jene, die den Herrn bejahen, bejahen sich selbst. Die Weisen, nicht die Unklugen, realisieren den Herrn.“ (Teil II, 6.1). Oder wie Sukadev sagt: „Du musst diese fünf Hüllen überwinden, wenn du das Wissen über das Selbst erlangen willst.“

Wie kann ich meine Yogapraxis an den Kosha Hüllen orientieren

Die fünf Hüllen des Menschen können durch yogische und tantrische Techniken gezielt transzendiert und gereinigt werden:

Stefan Geisse Asana Yoga

Asanas, sattvische Ernährung wie sie der Ayurveda beschreibt und Entspannung wirken auf den physischen Körper.

Atemtechniken des Hatha-Yoga (Pranayama) reinigen die Energiehülle.

Meditation, Mantra-Singen und Karma Yoga[10] bringen die mental-emotionale Hülle ins Gleichgewicht. Meditations-CD zum Download

Spirituelle Texte und Weisheiten stärken den Verstand, bieten ihm Sinn und Orientierung.

Anandamaya Kosha, die Wonnehülle, kommt z.B. in tiefer Meditation, wenn Samadhi[11] eintritt, zum bewussten Erleben. Aber auch in Momenten der Einkehr, des Rückzugs kann diese Erfahrung gesammelt werden.


[1] Vyana ist eines der fünf Vayus (Hauptpranas) im Ayurveda. Vyana bedeutet „die sich verbreitende Luft“. Es hat seinen Sitz im Herzen und breitet sich in alle Richtungen im ganzen Körper aus. Apana Vayu ist verantwortlich für die Ausscheidung, für Sexualität, für Menstruation, wie auch für Kreativität, Samana Vayu verantwortlich für die Verdauung, Udana Vayu, verantwortlich für das Nervensystem, für Schlafen, für Kommunikation, wie auch für Verlassen des physischen Körpers.

[2] Von Wurzel vid „Wissen“. „Göttliches Wissen“. Die Veden sind die heiligen Schriften und Grundlage der Religion der Hindus.

[3] Eine Sammlung philosophischer Schriften des Hinduismus und Bestandteil des Veda (spätvedische Zeit).

[4] Eine der heiligen Textsammlungen des Hinduismus. Er enthält eine Mischung von magischen Hymnen und Zauberformeln.

[5] Vgl. viveka, Unterscheidungsfähigkeit zwischen Wirklichkeit und Schein, einem der höchsten Ziele der Yogapraxis nach Patanjali, z.B. Yogasutra 2.26, 3.54 oder 4.26: „Und Citta neigt dazu, Kaivalyam, der inneren Freiheit, zu dienen.“

[6] In der Sankhyaphilosophie ist Weisheit, Buddhi eines der 25 Tattvas bzw. Kategorien. Es ist die höchste Fähigkeit des Menschen in der materiellen Welt.

[7] Vgl. Kaivalya, Freiheit. Letztendlich das Ziel des Raja Yoga nach Patanjali. Neben YS 4.16 (oben) z.B. auch YS 3.55: „Hat sich die reinigende Wirkung von Samyama (die Versenkung) durchgesetzt, so dass Citta (der Geist) die Ähnlichkeit zum Purusa (das Selbst, reines Bewusstsein) erlangt, so ist Kaivalya (die Freiheit) errungen.

[8] Das Absolute, das Allumfassende, das Universelle. Es ist das alles Durchdringende, göttliche, namenlose, formlose, ewig Absolute, allem innewohnende Prinzip. Es hat keine materielle Qualität und ist kein Konzept dieser Welt und kann daher auch nicht mit Worten oder Bildern beschrieben werden.

[9] In der indischen Philosophie steht Advaita für eine nichtdualistische Sichtweise, die auch als Monismus bezeichnet wird. Hier wird im Gegensatz zu dualistischen Anschauungen nur eine letzte Wirklichkeit, ein absolutes Prinzip anerkannt, an dem die gesamte Schöpfung und somit auch jedes Wesen Anteil hat. Somit gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Gott und Mensch, sondern vielmehr deren Wesensidentität. Die letztendliche Identität von Individualseele (jiva) und Überseele (brahman). Der berühmteste Vertreter dieser Philosophie, die ihren Anfang in den Upanishaden nahm, ist Shankara.

[10] Das Nichthandeln im Handeln, vgl. u.a. Bhagavad Gita, z.B. Kapitel 6, Vers 1: „Der Herr sprach: Wer die Tat, die getan werden muss, vollbringt, ohne an der Frucht der Handlung anzuhaften, der ist ein Entsagender und ein Yogi…“ oder auch 3.8f: „Vollziehe du die vorgeschrieben Tat! Handeln ist wahrlich besser als Nicht-Handeln, denn selbst die blosse Enthaltung des Körpers wäre ohne Handeln nicht möglich… Handle diesem Zweck entsprechend frei von Anhaften, Kunti-Sohn.“

[11] Eines der acht Glieder im Raja Yoga System. Samadhi, die segensreiche, göttliche Erfahrung, ist erreicht, wenn Ich und Bewußtsein sich auflösen, dies kann in tiefer Meditation geschehen.

Die Taittiriya Upanishad ist eingeleitet und übersetzt von Eknath Easwaran, mit individuellen Ergänzungen und Querverweisen.

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