Für ein erfolgreiches Stressmanagement ist wichtig, Stress und seine Ursachen zu verstehen. Jedes Stressgeschehen lässt sich in drei Aspekte unterteilen. Dabei beobachte ich in meiner Beratungspraxis, dass diese oft vermischt werden. So klagen Klienten von mir, dass sie schnell in Stress geraten, wenn sie zum Beispiel mehrere Dinge gleichzeitig erledigen müssen, ihr E-Mail-Postfach förmlich überquillt oder ihr Tag morgens schon in Hetze beginnt.
Gleichzeitig schildern sie Symptome von Stress wie Schlafstörungen, innere Unruhe und Getrieben sein. Dass sie gereizt sind und schon bei kleinen Anlässen aus der Haut fahren. Oder unter Verdauungsproblemen oder einem verspannten Nacken und Rückenschmerzen leiden.
Zugleich wird in meinen Gesprächen recht schnell deutlich, dass einige Klienten unter einem hohen Perfektionismus leiden und unbedingt Fehler vermeiden möchten. Sich ihren (Arbeits-)Tag mit viel zu vielen Aufgaben vollpacken, es allen recht machen wollen und sich zugleich wenige Ruhepausen gönnen. Sie setzen sich selbst unter Stress.
Die drei Dimensionen des Stressgeschehens
Mit diesen einfachen Beispielen wird schnell deutlich, dass hier drei verschiedene Dimensionen des Stressgeschehens auftauchen. Um ein erfolgreiches Stressmanagement durchführen zu können, ist es meines Erachtens unerlässlich, diese verschiedenen Bestandteile zu trennen, um individuelle Lösungen erarbeiten zu können.
Die im ersten Abschnitt geschilderten Aspekte zielen auf die Auslöser von Stress ab. Die Literatur nennt diese auch allgemeine Stressoren. Häufig werden diese mit einem Satz eingeleitet der mit „ich gerate in Stress, wenn…“ beginnt. Allgemeine Stressoren sind häufig viel zu viel Arbeit, Zeitdruck, Leistungsanforderungen von aussen, soziale Konflikte oder allgemeine Störungen wie zu viel Lärm oder Dichtestress beim Pendeln.
Der zweite Absatz zielt auf die Stressreaktion ab (ein idealtypischer Satz könnte lauten „wenn ich im Stress bin, dann…). Diese Reaktionen sind häufig körperlicher Natur, aber auch psychische Antworten des Organismus in Form von emotionalen, mentalen oder verhaltensbezogenen Reaktionen fallen darunter. Häufig beobachte ich bei meinen Klienten eine erhöhte Nervosität, Reizbarkeit, Unkonzentriertheit oder Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Herzrasen. Klassische Kampf- oder Flucht-Stressreaktionen.
Wir entscheiden individuell, wie wir mit herausfordernden Situationen umgehen
Aus meiner Praxis als Stresscoach ist jedoch der dritte Aspekt des Stressgeschehens entscheidend für ein erfolgreiches Stressmanagement. Bei Nachfragen äussern Klienten dann oft Sätze, die mit „ich setze mich selbst unter Stress, indem…“ beginnen.
Es handelt sich dabei um innere Haltungen, mit denen wir an belastende Situationen herangehen und die häufig mitentscheidend dafür sind, ob überhaupt und wie deutlich Stressreaktionen auftreten. Diese persönlichen Stressverstärker fallen häufig in Kategorien wie das genannte Streben nach Perfektionismus, Kontrollstreben, Ungeduld, Einzelkämpfertum oder gar Selbstüberforderung.
Lösungen für die Praxis – so gelingt erfolgreiches Stressmanagement
Wie wir oben gesehen haben, sind allgemeine Stressoren also allgemeine, äussere Anforderungsbedingungen in unserem Leben und unserer Umwelt. Hier kann versucht werden, Rahmenbedingungen erträglicher zu gestalten oder Stressoren zu reduzieren oder gar zu vermeiden.
Jedoch ist meines Erachtens der Spielraum recht gering: Je nachdem, welchem Berufsbild und welcher Funktion ich nachgehe, habe ich nun mal viel Arbeit, wenig Zeit, muss unter Umständen im lärmigen Grossraumbüro arbeiten. Eine Mutter hat nun mal ein schreiendes Kind zuhause und findet wenig Schlaf. Ist mein Arbeitsplatz weit von meinem Wohnort entfernt, muss ich in die überfüllte S-Bahn oder mich auf den Stau in der Autobahn stellen. Es ist nicht realistisch, dass ich hier meinen Klienten grossmütig anrate, den Job zu kündigen oder ihr Kind schreien zu lassen.
Lösungen zur Abschwächung allgemeiner Stressoren liegen im Erlernen von instrumentellen Stressmanagement, die nachfolgende zur Stressbewältigung aufgezeigt werden.
Beispiele für instrumentelles Stressmanagement
- Fachliche Kompetenzen erweitern: Information, Fortbildung, kollegialer Austausch usw.
- Organisatorische Verbesserungen: Aufgabenverteilung, Ablaufplanung, Ablagesysteme usw.
- Selbstmanagement erlernen: persönliche Arbeitsorganisation optimieren, Prioritäten (beruflich wie privat) definieren, realistische Zeitplanung, Delegation
- Sozial-kommunikative Kompetenzen entwickeln: anderen Grenzen setzen, häufiger Nein sagen, sich aussprechen, Klärungsgespräche führen usw.
- Nach Unterstützung suchen: Sich helfen lassen, Unterstützung verlangen, Netzwerk aufbauen usw.
- Problemlösekompetenz entwickeln bzw. sich schulen lassen
Dem Stress eine Chance zur Erholung geben
Stress an sich ist nichts Schlechtes. Evolutionär hat uns Stress durch die sehr intelligente „Kampf- oder Flucht“ Reaktion das Überleben gesichert. Der Körper mobilisiert innerhalb kürzester Zeit zusätzliche Energiereserven, um eine bedrohliche Situation zu meistern (also wegzurennen oder sich dem Kampf gegen einen stärkeren Gegner zu stellen). Doch der grosse Unterschied heute ist, dass wir nicht mehr genügend Zeit für Erholung und Regeneration haben und sich einzelne Stressreaktionen innerhalb kurzer Zeit immer und immer wieder wiederholen. Dies kann zu chronischem Stress und entsprechenden Krankheitsbildern führen. Daher ist es enorm wichtig, am oben genannten Aspekt der Stressreaktion zu arbeiten und mehr Entspannung zu erzielen.
Beispiele für regeneratives Stressmanagement
- Regelmässiges praktizieren von Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Yoga oder anderen Formen
- Regelmässige Bewegung und Sport
- Eine gesunde, auf die individuelle Konstitution abgestimmte Ernährung z.B. mittels des Ayurveda
- Pflege ausserberuflicher sozialer Kontakte
- Regelmässiger Ausgleich durch Hobbys und Freizeitaktivitäten
- Kultivieren von Dankbarkeit und lernen, die kleinen Dinge im Alltag zu geniessen
- Ausreichender Schlaf
Die Grundlage eines erfolgreichen Stressmanagements: Das Arbeiten an unserer Haltung und Einstellung
Doch der alles entscheidende Punkt für ein nachhaltiges erfolgreiches Stressmanagement ist aus meiner Praxis als Seminarleiter und Coach das Erlernen einer mentalen Stresskompetenz. Um so die persönlichen Stressverstärker abzuschwächen, die auf einen allgemeinen Stressor treffen wie es oben geschildert und beschrieben wurde.
Natürlich kann ich immer wieder versuchen mich zu erholen und zu regenerieren. Doch wenn ich meine Prägungen, Muster und Konditionierungen unbewusst weiter in mir trage, werde ich immer wieder in Stressreaktionen fallen. Diese dann mühsam immer wieder abzuschwächen hilft mir nicht nachhaltig. Ich bin in einem Teufelskreis gefangen.
Mentales Stressmanagement zielt auf eine Änderung stresserzeugender oder stressverschärfender persönlicher Motive, Einstellungen und Bewertungen ab. Diese bewusst zu machen, kritisch zu reflektieren und in stressmindernde, förderliche Einstellungen und Bewertungen zu transformieren ist das Ziel.
Beispiele für mentale Stressbewältigung
- Perfektionistische Leistungsansprüche kritisch überprüfen und eigene Leistungsgrenzen akzeptieren lernen
- Schwierigkeiten nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung ansehen
- Sich mit alltäglichen Aufgaben weniger persönlich identifizieren, mehr innere Distanz wahren
- Sich nicht im alltäglichen Kleinkrieg verlieren, den Blick für das Wesentliche wahren, das, was wirklich wichtig ist
- Sich des Positiven, Erfreulichen, Gelungenen bewusstwerden und dafür Dankbarkeit empfinden
- An unangenehmen Gefühlen und Verletzungen oder Ärger nicht festkleben, sondern diese loslassen und vergeben lernen
- Weniger feste Vorstellungen und Erwartungen an andere haben, die Realität akzeptieren
- Sich selbst weniger wichtig nehmen, faschen Stolz ablegen und Demut lernen
Die asiatischen Weisheitslehren für ein erfolgreiches Stressmanagement nutzen
Hier habe ich in meiner tagtäglichen Arbeit mit gestressten Menschen sehr gute Erfahrungen mit den Asiatischen Weisheitslehren des Yoga, Ayurveda als auch des Buddhismus gesammelt. Das Erlernen der Achtsamkeit führt zu einer höheren Bewusstwerdung der körperlichen, emotionalen und mentalen Reaktionen, als auch der zugrundeliegenden Muster (im Yoga „vrittis“) und Prägungen.
Durch seriöse Meditationspraxis wird in einem ersten Schritt geübt, den Geist mit eben seinen Mustern als auch Sinneswahrnehmungen, Bewertungen und Ablehnungen zu schulen und mit fortschreitender Praxis auch elementare Dimensionen des Lebens wie liebevolle Güte, Gleichmut, Mitgefühl, Freude und Demut zu kultivieren (viele sprechen heute hier von Resilienz).
Die Ayurvedischen Weisheitslehren eines gesunden Körpers unterstützen Heilungsprozesse, regulieren den Lebensrhythmus und passen die Ernährungs- und Verhaltensweise individuell an die individuelle Konstitution und Störungen des betroffenen an.
Über den Autor
Stefan Geisse litt als Manager in internationalen Konzernen selbst jahrelang unter grossem Stress. Eine schwerwiegende Gehirnblutung als Folge dieses Stresses nutze er, um sein Leben neu auszurichten. Heute leitete er Seminare, gibt Vorträge und betreut Menschen in herausfordernden Lebensphasen. Seine Arbeit gründet auf den Weisheitslehren des Yoga, Ayurveda, Buddhismus als auch neuesten westlichen Erkenntnissen der Stressforschung, Resilienz, Konflikt- und Kommunikationsverhalten. Neben Präsenzseminaren bietet Stefan auch Online-Trainings zu Schlafstörungen, Meditation, Achtsamkeit und Selbstliebe an: https://seminare.stress-auszeit.ch/
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