Interview Stress bewältigen bei Höhrbehinderung

Interview mit der Zeitschrift dezibel:

Stefan Geisse, als ehemaliger Berater und Kader in internationalen Konzernen wissen Sie, was Stress bedeutet. Nach Ihren diversen Ausbildung als ayurvedischer Gesundheits- und Ernährungsberater und passionierter Yoga- und Meditationslehrer kennen Sie Wege, Stress zu bewältigen. Was geben Sie den Workshop-Teilnehmenden mit auf den Weg?

Stressfaktoren wie viel Arbeit, wenig Zeit oder Kommunikationsproblem durch schlechtes Hören lassen sich nicht immer vermeiden. Entscheiden ist meiner Meinung nach, diesen Stressoren konstruktiv zu begegnen. Durch Einstellungsänderung, Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment und das bewusste Auflösen von stressverstärkenden Glaubenssätzen wie «sei perfekt» lernen meine Workshop-Teilnehmer ihre mentale Stresskompetenz zu erhöhen. Umso dem Stress gewappnet zu sein und ein zufriedeneres und erfüllteres Leben zu führen.

Meditation und Stressbewältigung Stefan Geisse

Menschen mit Hörbehinderungen sind im Alltags- und Berufsleben oft noch zusätzlichem Stress ausgesetzt. Sie haben Angst, nicht immer alles zu verstehen und mitreden zu können. Ihr Tipp?

Offenheit. Klarheit und Transparenz beim Gegenüber schaffen. Es ist nicht schlimm, eine Hörbehinderung zu haben und nochmal Nachzufragen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Je mehr der gegenüber sich in die Situation des Betroffenen hineinversetzen kann, desto eher wird er gewillt sein, achtsam zu kommunizieren und die Reaktion abzuwarten.

Viele wünschen sich ein erfülltes und gesundes Leben in Klarheit, Balance und innerer Freiheit. Und wissen nicht, wie das geht. Zeigen Sie dazu Wege auf?

Letztendlich ist jeder für die Gestaltung seines Lebens verantwortlich, ich begleite und inspiriere auf diesem Weg. Ein erfülltes Leben ist nicht immer einfach, Schicksalsschläge, Krankheit oder auch traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit können belastend sein. Je nach Ausgangslage und der Bereitschaft selbstkritisch zu reflektieren und eigene Themen anzugehen, helfen therapeutische Traumarbeit, Atem- und Meditationstechniken zur Beruhigung des Geistes und zum Finden von innerem Frieden. Aber auch rationale Techniken wie Potentialfindung, Mentales Stressmanagement oder Fragebogen zum Konflikt- und Kommunikationsverhalten helfen Betroffene eben diese Klarheit zu finden.

Sie selbst stürzten kurz vor Ihrem 40. Geburtstag in eine Sinnkrise. Daraufhin erfolgte Ihre Neuorientierung. Haben Sie zuvor keine Stressbewältigungsmethoden angewendet?

Genau das war das Problem: Ich habe Zeit und Energie in Erholung und Regeneration investiert, Sport gemacht und versucht im privaten-sozialen Umfeld Ausgleich zu finden. Jedoch dabei übersehen, dass die stressverschärfenden Faktoren tief in mir drin sind: Perfektionistische Ansprüche, Getriebenheit und Suche nach Anerkennung und Bestätigung haben mich immer mehr arbeiten lassen. Erst spät habe ich wirklich verstanden: Immer nur Stress reaktiv abzubauen, um danach wieder hart arbeiten zu können, führt auf Dauer zu nichts, wenn die wahren Ursachen und Probleme nicht angeschaut werden.

Was genau führt eigentlich zu Stressreaktionen?

Eine Stressreaktion, sei sie körperlich wie Verspannung oder Rückenschmerz; verhaltensbezogen wie beispielsweise Aggressivität oder mental (nie zur Ruhe kommende Gedanken, Schlafstörungen, Sorgen, Ängste) resultiert immer aus einem oder mehreren Stressoren und die individuelle Reaktion darauf. Allgemeine Stressoren sind dabei häufig viel Arbeit, Zeitdruck, Lärm, Konflikte usw. Diese werden durch oft unbewusste, tief verankerte Glaubenssätze („sei beliebt!“, „sei stark!“, „ich kann nicht!“ usw.) individuell verstärkt.

Welche Methoden gegen Stress sind am wirkungsvollsten?

Meiner Meinung nach macht es Sinn, an allen Faktoren des Stressgeschehens zu arbeiten: Versuchen, die allgemeinen Stressoren zu verringern oder idealerweise zu vermeiden. Natürlich auch an der körperlichen, mentalen oder habituellen, also verhaltensbezogenen, Stressreaktion zu arbeiten: Genügend Erholungsphasen, viel Bewegung in der Natur, Entspannung und Regeneration mittels Yoga, Autogenes Training und anderen Entspannungstechniken. Doch das wichtigste ist meines Erachtens die Arbeit an unserem Geist: Durch Achtsamkeit lerne ich, den Moment bewusst und bewertungsfrei anzunehmen ohne mich darin zu verstricken. Oder wieder in vergangene alte Muster abzudriften oder in die Zukunft zu flüchten.

Spirituelles kommt in unserer Welt oft etwas zu kurz, wird sogar immer noch etwas belächelt. Wie können wir das Spirituelle in unser Leben integrieren?

Ich beobachte, wie viele meiner Seminarteilnehmer skeptisch gegenüber diesem Begriff sind. Entlehnt aus dem lateinischen spīritus („Hauch“), weiter zu spīrāre („hauchen, atmen“) bezeichnet Spirituell das geistige, den Bereich unmittelbarer Sinneserfahrung überschreitende. Ich habe es selber erfahren: Jahrzehntelang war ich nur der materiellen Welt verhaftet und gleichzeitig habe ich immer die Sehnsucht verspürt, einen grösseren Sinn zu sehen.

Unser Leben (wie auch die moderne Wissenschaft) ist geprägt von den Eindrücken unseren Sinnen: Das, was wir sehen, fühlen, tasten können, nehmen wir als gegeben war. Das ist auch wichtig, leben wir nun mal in dieser Welt. Jedoch ein Problem manifestiert sich dabei: Wir lernen im Laufe unseres Lebens, dass alles Vergänglich ist. Der Job, das Haus, unsere Beziehungen. Letztendlich unser Leben. Das macht uns Angst, die Konsequenz: Wir betäuben uns, lenken uns ab. Noch mehr Arbeit, noch mehr materieller Wohlstand, die Suche nach dem nächsten Glück. Und spüren dabei: dieses Glück ist nicht von Dauer. So hetzten wir von einer Erfahrung zu nächsten und werden dabei nie vollumfänglich zufrieden und erfüllt.

Im Buddhismus wie im Yoga spricht man von vier edlen Herzensqualitäten die Bedingungslos, also an nichts gebunden sind: Liebevolle Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut. Diese Qualitäten entwickeln sich z.B. durch Meditation als auch Achtsamkeit. Je mehr diese Qualitäten zum Vorschein kommen, desto zufriedener, erfüllter und vollkommener werden wir. Das Leben wird einfacher, wir bekommen das zurück, was wir ausstrahlen: Liebe, Anerkennung und Geborgenheit.

Begegne ich wertschätzend der Kassiererin im Supermarkt und sehe in ihr ein Wesen, das seine Aufgabe so gut wie es ihr zu dem Zeitpunkt möglich ist erledigt – und nicht jemanden mit einem schlechten Job der mir meine Zeit stiehlt weil sie scheinbar langsam ist – habe ich das Spirituelle in mein Leben integriert. So einfach und so schwer ist das.

Workshop Stressbewältigung

Am 25. 11. 2017 findet in Zürich der Tages-Workshop «Stressbewältigung» mit Stefan Geisse statt. Er richtet sich an Menschen mit einer Hörbehinderung aller Altersgruppen. Lernen Sie, das Leben zwischen Beruf, Familie und Freizeit in Balance zu bringen, erfahren Sie, wie Sie stressverstärkende Gedanken in positive, konstruktive Gedanken und Tagen umsetzen können und wie Sie Ihre Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit steigern können. Anmeldungen bei Corinne Heusser, pro audito schweiz. Corinne.heusser@pro-audito.ch; Infos Stefan Geisse: www.induality.com und www.stress-auszeit.ch

>